Neustrelitz

08.03.1943

Das Bild zeigt etwa 20 Personen, die auf der Ladefläche eines Lastwagens sitzen, darunter auch Kinder. Rechts ist ein Ordnungspolizist zu erkennen, der sie bewacht. Das Bild wurde heimlich aus dem Obergeschoss des Kinderheimes aufgenommen, aus dem vier weitere Kinder zur Deportation abgeholt wurden. 

Bild: Katholisches Pfarrarchiv Neustrelitz

Anmerkungen

Neustrelitz, 08.03.1943

Das Verfolgungsereignis

De­por­ta­ti­on von Neu­stre­litz nach Ausch­witz am 14.03.1943

Am Morgen des 8. März 1943 wurden in Alt-Schloen und Sarow im Kreis Waren/Mecklenburg alle noch dort lebenden Sinti:zze verhaftet. Es handelte sich vor allem um Elternteile mit kleinen Kindern, deren „arbeitsfähige“ Familienangehörige bereits im Mai 1941 verschleppt worden waren. Sie wurden auf einem Lastwagen mit Anhänger zum katholischen Kinderheim St. Elisabeth in Neustrelitz gebracht. Dort mussten vier Kinder zusteigen: die Geschwister Franz und Alex Rose sowie Fritz und Paul Wagner. Anschließend wurden die etwa 35 Menschen ins Gefängnis Alt-Strelitz gebracht, wo als Rom:nja und Sinti:zze verfolgte Personen aus ganz Mecklenburg festgehalten wurden. Am 14. März 1943 mussten die insgesamt 210 Menschen aus Mecklenburg einen Deportationszug Richtung Auschwitz-Birkenau besteigen, in dem sich bereits 250 Verfolgte aus Hamburg und Umgebung befanden.

Über die Bild­se­rie

Die Serie besteht aus drei Fotografien, die während der Abholung der Geschwister Franz und Alex Rose sowie Fritz und Paul Wagner aus dem katholischen Kinderheim St. Elisabeth in der Tiergartenstraße 12b (heute Nr. 28) entstanden. Sie zeigen etwa 35 Menschen, die auf einem offenen Lastwagen und einem Anhänger festgehalten werden. Auf einem Bild ist – zwischen einer Nonne und einem Polizisten stehend – ein Kind zu sehen. Es könnte sich dabei um eines der vier genannten Kinder handeln. Einer der beiden uniformierten Männer ist vermutlich Gendarmeriemeister Möller, der für die Verhaftung und den Transport der Menschen verantwortlich war.

Fotograf:in

Hein­rich Kott­mann, Ka­plan

Heinrich Kottmann, geb. 1915, war zwischen 1940 und 1949 Kaplan in Neustrelitz. In dieser Zeit absolvierte seine Schwester ein Praktikum im katholischen Kinderheim St. Elisabeth, aus dem am 8. März 1943 vier Kinder deportiert wurden. Der Historiker Frank Reuter geht davon aus, dass Heinrich Kottmann höchstwahrscheinlich vorab von der Deportation erfahren hatte und sich dazu entschloss, die Verschleppung der Kinder heimlich zu fotografieren. Ab 1949 war Heinrich Kottmann zunächst in Laage und später in Osnabrück tätig. Dort starb er 1998. Im Diözesanarchiv des Erzbistums Hamburg und im katholischen Pfarrarchiv Neustrelitz ist ein von ihm verfasstes Manuskript mit seinen Lebenserinnerungen (1944–1949) überliefert. Die Deportation erwähnt er darin nicht.

Überlieferung

Die Fotos sind in ein Album mit dem Titel „Gelegenheitsfotos aus den Jahren 1940–1945 in der Diasporapfarrei Neustrelitz/Meck.“ eingeklebt. Es wurde von Heinrich Kottmann zusammengestellt, dem Fotografen der Bildserie. Die Bilder von der Deportation beschriftete er mit: „Abtransport der Z.* (s.o.) nach Auschwitz? Theresienstadt?“ Die Angabe „s.o.“ bezieht sich auf Fotografien der Kinder Franz und Alex Rose sowie Fritz und Paul Wagner, die ebenfalls in dem Album zu finden sind. Heinrich Kottmann übergab das Album 1990 der katholischen Gemeinde Neustrelitz, wo es bis heute im Pfarrarchiv aufbewahrt wird. Die Negative waren ursprünglich ebenfalls überliefert, sind allerdings mittlerweile verschollen.

* Der im Original verwendete Begriff zur Bezeichnung von Rom:nja und Sinti:zze, den viele Angehörigen der Minderheit als diskriminierend ablehnen, wird hier nicht vollständig wiedergegeben.

Si­gna­tur bei der be­sit­zen­den En­ti­tät:

Ohne Si­gna­tur

Be­zeich­nung des Bil­des bei der be­sit­zen­den En­ti­tät:

Ohne Ti­tel

Danksagung

Wir danken Dr. Frank Reuter, der uns bei der Erschließung der Bilder maßgeblich unterstützt hat und auf dessen Forschungsarbeiten (siehe Literaturangaben) diese Darstellung basiert.

Ebenso danken wir Josef Wagner, dem Archivar des katholischen Pfarrarchivs Neustrelitz, der uns im September 2022 eine Sichtung des Albums ermöglichte, sowie Martin Colberg, Archivar des Erzbistums Hamburg, der uns bei der Recherche unterstützte.

Text und Re­cher­che: Ka­tha­ri­na Men­schick.

Kooperationsverbund #LastSeen.
Bilder der NS-Deportationen

Dr. Alina Bothe
Projektleiterin

c/o Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg
Freie Universität Berlin
Habelschwerdter Allee 34A
14195 Berlin
lastseen@zedat.fu-berlin.de