Gailingen

22.10.1940

Frieda und Jakob Ottenheimer verlassen mit Gepäck das Israelitische Krankenhaus. Ein Ordnungspolizist weist ihnen den Weg, drei weitere bewachen die Abholung. Am rechten Bildrand stehen drei Jungen und beobachten die Deportation aus nächster Nähe.

Bild: Verein für jüdische Geschichte Gailingen e.V.

Anmerkungen

Gailingen, 22.10.1940

Das Verfolgungsereignis

De­por­ta­ti­on von Gai­lin­gen nach Gurs am 22.10.1940

Am 22. Oktober 1940, dem letzten Tag des Laubhüttenfestes (Sukkot), deportierten Ordnungs- und Sicherheitspolizisten über 6.500 Jüdinnen und Juden aus Baden und der sogenannten Saarpfalz in das Internierungslager Gurs im unbesetzten Südwesten Frankreichs. In Gailingen verhaftete die Ordnungspolizei 182 als Jüdinnen und Juden verfolgte Personen. Sie mussten sich am frühen Morgen binnen zwei Stunden mit maximal 50 Kilo Gepäck und 100 Reichsmark in bar am Rathaus einfinden.

Die Ordnungspolizei brachte die Menschen mit Lastwagen ins Sammellager „Scheffelhalle“ in Singen (Hohentwiel). Am Abend mussten sie am Bahnhof in bereitstehende französische Personenzüge steigen. Über Mulhouse und Chalon-sur-Saône erreichten sie vermutlich am 25. oder 26. Oktober 1940 Oloron-Sainte-Marie im Département Basses-Pyrénées. Per Lastwagen kamen sie nach Gurs. Ab August 1942 wurden die Gefangenen von Gurs über das Sammellager Drancy bei Paris nach Auschwitz deportiert. Acht Menschen aus Gailingen überlebten die Shoah.

Über die Bild­se­rie

Aus Gailingen sind fünf Schwarz-Weiß-Reproduktionen (vier im Querformat, eine im Hochformat) in den Maßen 8,5 x 11,5 cm von der Deportation am 22. Oktober 1940 überliefert. Die Bilder zeigen verschiedene Szenen von der Abholung an den (Zwangs-)Wohnorten Friedrichsheim und Israelitisches Krankenhaus, den Fußweg mit Gepäck zum Gailinger Rathaus und das Einsteigen in Lastwagen. Auf fast allen Bildern sind Zuschauer:innen und Ordnungspolizisten zu sehen. Fünf Jüdinnen und Juden sowie eine Krankenschwester sind namentlich bekannt.

Die Fotografin war vermutlich die Fotolaborantin Charlotte Schlenker, deren Mann in Gailingen ein Fotogeschäft besaß. Es ist anzunehmen, dass sie die Deportation im Auftrag der Stadt fotografierte.

Fotograf:in

Char­lot­te Schlen­ker

Charlotte Schlenkers Mann gehörte ein Fotogeschäft in Gailingen. Sie war laut Aussage des Lokalhistorikers Detlef Girres eine „stramme Parteigenossin“ und „überzeugte Nationalsozialistin“. Berta (Berty) Friesländer-Bloch (1896–1993), die am 22. Oktober 1940 mit ihrem Mann und ihrem dreijährigen Sohn aus Gailingen nach Gurs deportiert wurde, bezeichnete sie in ihren späteren Schriften als die „Hoffotografin“ des damaligen Gailinger Bürgermeisters Willy Becher. Es ist daher anzunehmen, dass Charlotte Schlenker die Deportation im Auftrag der Stadt fotografierte.

Überlieferung

Die vier Fotos im Querformat sind Teil eines offiziellen Fotoalbums der Stadt Gailingen, das der damalige Bürgermeister Alois Sproll ab 1938 als Andenken an seinen Amtsvorgänger anlegte. Neben Bildern von örtlichen Parteiaufmärschen enthält es eine Seite, die mit „Juden-Aktion Oktober 1940“ überschrieben ist. Nachträglich wurde „22.“ mit Bleistift ergänzt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden mehrere Fotos aus dem Album entfernt und vernichtet, darunter auch die Bilder von der Deportation.

Bei den erhaltenen Bildern handelt es sich um Reproduktionen aus dem Besitz von Berta Friesländer-Bloch (1896–1993), die mit ihrem Mann und ihrem Sohn nach Gurs deportiert wurde. Reproduktionen der Fotos sind auch dank Ezechiel Hasgall erhalten, der mit seiner Familie 1936 nach Palästina auswanderte. Sie befinden sich heute in den Beständen des Leo Baeck Institute New York und des Hauptstaatsarchivs Stuttgart.

Si­gna­tur bei der be­sit­zen­den En­ti­tät:

Ohne Si­gna­tur

Be­zeich­nung des Bil­des bei der be­sit­zen­den En­ti­tät:

Ohne Ti­tel

Danksagung

Die Erschließung der Fotos basiert auf den Recherchen des Vereins für jüdische Geschichte Gailingen e.V. Ein herzlicher Dank geht vor allem an Joachim Klose für die geduldige Beantwortung unzähliger Nachfragen und das bereitwillige Teilen von Forschungsergebnissen.

Text und Re­cher­che: Kers­tin Hof­mann.

Kooperationsverbund #LastSeen.
Bilder der NS-Deportationen

Dr. Alina Bothe
Projektleiterin

c/o Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg
Freie Universität Berlin
Habelschwerdter Allee 34A
14195 Berlin
lastseen@zedat.fu-berlin.de