Bingen

20.03.1942

Eine Reihe LKW wartet am Bingener Rheinufer. Mit ihnen wurden 76 jüdische Bingener:innen mitsamt ihrem Gepäck deportiert. 

Bild: K. Kühn

Anmerkungen

Bingen, 20.03.1942
Lastkraftwagen/-anhänger
Gepäck
Deportierte
Zuschauende

Das Verfolgungsereignis

De­por­ta­ti­on von Bin­gen nach Pia­ski am 20.03.1942

Am 20. März 1942 fand die erste Deportation von Bingener Jüdinnen und Juden in das besetzte Osteuropa statt. Verantwortlich für die Planung waren die Gestapo-Stellen Mainz und Darmstadt. 76 Personen wurden zum Fruchtmarkt am Rheinufer gebracht. Dort standen Lastwagen bereit, um die Menschen nach Mainz und von dort mit dem Zug nach Darmstadt zu bringen. In Darmstadt wurden die Jüdinnen und Juden mehrere Tage in einem bewachten Sammellager in der Liebig-Schule untergebracht. Am 24. März 1942 verließ der Zug „Da 14“ Darmstadt Richtung Trawniki im Distrikt Lublin. Zur Tarnung als Arbeitseinsatz führte er zwei Waggons voller Nähmaschinen mit. Von Trawniki aus mussten die Deportierten die verbleibenden zwölf Kilometer in das Ghetto Piaski laufen. Dort zogen sie in Häuser von Jüdinnen und Juden, die kurz zuvor im Vernichtungslager Bełżec ermordet worden waren. Vermutlich wurden die jüdische Bürger:innen aus Bingen ebenfalls dort ermordet. Es gibt keine Überlebenden dieser Deportation.

Über die Bild­se­rie

Die Bilderserie besteht aus drei Bildern mit Rückseiten im Format 7 x 10 cm. Sie sind als Originalabzüge bei Günther Kühn überliefert, dem Sohn des Urhebers Karl Kühn. Aktuell werden sie in einem Privatalbum der Familie Kühn aufbewahrt, das die fotodokumentarischen Arbeiten von Karl Kühn beinhaltet. Die Beschriftung der Rückseiten sowie der Albumseiten wurden retrospektiv durch Günther Kühn vorgenommen. Die drei Bingener Bilder stellen eine kurze Szene im Deportationsablauf dar. Man sieht die Ankunft der Deportierten am Bingener Fruchtmarkt am Rheinufer sowie die dort in langer Reihe aufgestellten Lastwagen mitsamt Bewachung. Die Reihenfolge der Fotos suggeriert, dass sich der Fotograf mit den Deportierten mitbewegt hat. Bisher konnte keine der abgebildeten Personen identifiziert werden. 

Fotograf:in

Karl Kühn, Dro­gist

Karl Kühn wurde 1887 in Lübeck geboren. Nach einer Reise an den Rhein im Jahr 1904 entschloss er sich, nach Bingen zu ziehen, um dort eine Drogerie zu eröffnen und eine Familie zu gründen. Seine Frau Helene stammte aus Salzwedel. Das Ladenlokal des Ehepaars Kühn zog mehrmals innerhalb von Bingen um; schließlich etablierte sich die Drogerie Kühn mit Fotogeschäft in der Salzstraße 20. Karl und Helene Kühn hatten sechs Kinder. Karl Kühn fotografierte gern und besaß mehrere Kameras. Er hielt das Stadtgeschehen fest, meist ohne die Bilder zu veröffentlichen. Karl Kühn war Mitglied der NSDAP. Während des Zweiten Weltkrieges führte er sein Geschäft weiter und dokumentierte auch die Kriegsschäden in Bingen, obwohl dies untersagt war. Zwei seiner Söhne fielen im Krieg. Karl Kühn starb 1963.

Überlieferung

Urheber der Fotoserie aus Bingen ist der Drogist und Inhaber eines Fotogeschäfts Karl Kühn. Er hatte seinen Laden unweit vom Fruchtmarkt, dem Sammelort für Jüdinnen und Juden bei der Deportation. Höchstwahrscheinlich erfuhr er zufällig von dem Geschehen und ging mit seinem kleinen Sohn los, um zu fotografieren. Da er annahm, seine Kamera könnte konfisziert oder zerstört werden, nutzte er eines seiner günstigeren Kameramodelle. Die Abzüge fertigte Karl Kühn selbst an und bewahrte sie im Speicher seines Hauses auf. Karl Kühns Sohn Günther fand sie dort erst nach Auflösung des Geschäfts und Aufgabe des Familienhauses. Er digitalisierte sie und stellte sie dem Verein für jüdisches Bingen e.V. zur Verfügung. Heute liegen Digitalisate außerdem bei der Gedenkstätte KZ Osthofen, dem Jüdischen Museum Berlin und dem Museum for Jewish Heritage in New York.

Si­gna­tur bei der be­sit­zen­den En­ti­tät:

ohne Si­gna­tur

Be­zeich­nung des Bil­des bei der be­sit­zen­den En­ti­tät:

ohne Ti­tel

Danksagung

Ein herzlicher Dank geht an die Familie des Fotografen Karl Kühn: Günther und Ingeborg Kühn haben #LastSeen die Fotos und ausführliche Informationen zum Fotografen und zum Entstehungskontext zur Verfügung gestellt. Außerdem danken wir dem Arbeitskreis Jüdisches Bingen für die Vernetzung und insbesondere Hans-Josef von Eyß für die Ergebnisse seiner Recherche.

Text und Re­cher­che: Lisa Pa­duch.

Kooperationsverbund #LastSeen.
Bilder der NS-Deportationen

Dr. Alina Bothe
Projektleiterin

c/o Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg
Freie Universität Berlin
Habelschwerdter Allee 34A
14195 Berlin
lastseen@zedat.fu-berlin.de