Bielefeld

Dezember 1941

Der Lokführer der ausgedienten Lokomotive 93 062 der Deutschen Reichsbahn steht am Fenster und lächelt in die Kamera. Er fuhr die westfälischen Jüdinnen und Juden ins Ghetto Riga.

Bild: Stadtarchiv Bielefeld

Anmerkungen

Bielefeld, Dezember 1941

Das Verfolgungsereignis

De­por­ta­ti­on von Bie­le­feld nach Riga am 13.12.1941

Am 11. Dezember 1941 wurden mehr als 400 Jüdinnen und Juden aus dem Gestapo-Kreis Bielefeld in der als Sammellager genutzten Gaststätte „Kyffhäuser“ im Bielefelder Zentrum zusammengepfercht. Nachdem ihnen ihre Wertsachen geraubt worden waren, mussten sie zwei Nächte auf einem Strohlager verbringen. Am 13. Dezember 1941 wurden sie, bewacht von Ordnungspolizisten, mit städtischen Bussen zum Hauptbahnhof gebracht. Die Spedition „Roter Radler“ transportierte das Gepäck. Jüdische Zwangsarbeiter aus dem nahegelegenen „Umerziehungslager Schloßhofstraße“ mussten beim Verladen helfen.

In dem Deportationszug befanden sich bereits Jüdinnen und Juden aus Münster und Umgebung. Nach einem weiteren Halt in Osnabrück umfasste der Transport 1.031 Personen. Dem Bericht des Überlebenden Arthur Sachs zufolge sangen die Deportierten im Zug „Nun ade, du mein lieb Heimatland“. Nach drei Tagen in verplombten Waggons der dritten Klasse erreichten die Menschen das Ghetto Riga. Von den 420 Jüdinnen und Juden aus dem Kreis Bielefeld überlebten nur 48 die Shoah.

Über die Bild­se­rie

Die Serie von 25 Bildern im Format 6 x 6 cm zeigt die Deportation von etwa 420 Personen aus dem Kreis Bielefeld. Sie wurde an drei verschiedenen Orten aufgenommen: im Inneren der Gaststätte „Kyffhäuser“, die als Sammellager diente, vor dem Eingang bei der Abholung und Verladung des Gepäcks sowie am Zollschuppen und Bahnsteig des Bielefelder Hauptbahnhofs. Auf den Bildern vom Zug sind in den Fenstern Deportierte aus Münster und Umgebung zu sehen. Die quadratischen Abzüge befinden sich in der Bielefelder Kriegschronik von 1941 ebenso wie 15 Vergrößerungen der Bilder, die in den Augen des Fotografen am aussagekräftigsten waren. Die Kommentare des Fotografen auf den Rückseiten wurden in der Chronik übernommen; nur beim ersten Bild wurde „nach Riga“ durch „Richtung Osten“ ersetzt.

Fotograf:in

Ge­org Hüb­ner, Po­li­zei­as­sis­tent

Georg Hübner, geb. 1895 in Bielefeld, besuchte die Schule bis zur 9. Klasse und arbeitete als Grafiker, bevor er 1916 eingezogen wurde. Er erreichte den Rang eines II. Unteroffiziers, erhielt zahlreiche Orden und gehörte nach Kriegsende einem Freikorps in Oberschlesien an. Er lebte drei Jahre in einer Arbeitsgemeinschaft in Bayern, die ehemalige Angehörige der „Brigade Ehrhardt“ auffing, und gehörte kurz der NSDAP an. 1923 kehrte Georg Hübner nach Bielefeld zurück. Ein degeneratives Augenleiden machte ihm die Rückkehr in seinen Beruf unmöglich. Der erneute Eintritt in die NSDAP im Dezember 1932 verschaffte ihm in der NS-Zeit als „altem Kämpfer“ immer bessere Stellen im öffentlichen Dienst, zuletzt als Polizeiassistent und damit Beamter auf Lebenszeit. Nachdem er 1945 entlassen worden war, wurde er 1953 wieder in den öffentlichen Dienst eingegliedert und bis zu seiner Rente in niedrigen Positionen eingesetzt. Er starb 1968.

 

Überlieferung

Für die Erstellung der Kriegschronik war der Direktor des Bielefelder Stadtmuseums Dr. Eduard Schoneweg zuständig. Er beauftragte Georg Hübner mit der fotografischen Dokumentation der ersten Deportation von Bielefelder Jüdinnen und Juden. Bis 1948 verweigerte Eduard Schoneweg die Herausgabe der Kriegschronik an die Stadt Bielefeld. Im Zuge der Ermittlungen zum Bielefelder „Gestapo-Prozess“ 1961 wurde die Bilderserie genutzt und zweimal reproduziert. Diese Exemplare liegen heute im Bundesarchiv und im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen vor; die Originale sind im Stadtarchiv Bielefeld überliefert.

Si­gna­tur bei der be­sit­zen­den En­ti­tät:

Stadt­ar­chiv Bie­le­feld, Be­stand 300,11/Kriegs­chro­nik der Stadt Bie­le­feld, Bd. 4

Be­zeich­nung des Bil­des bei der be­sit­zen­den En­ti­tät:

Ohne Ti­tel

Danksagung

Für die freundliche Unterstützung bei der Recherche danken wir Dr. Jochen Rath vom Stadtarchiv Bielefeld sowie Erika Rosenfeld und Dr. Annette Hennings vom Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe.

Text und Re­cher­che: Lisa Pa­duch.

Kooperationsverbund #LastSeen.
Bilder der NS-Deportationen

Dr. Alina Bothe
Projektleiterin

c/o Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg
Freie Universität Berlin
Habelschwerdter Allee 34A
14195 Berlin
lastseen@zedat.fu-berlin.de